Nr. 46, November 2002
 
16) Kurzkommentar des Monats:

Frankreich plant Gefängnisneubauten – eine Wiederholung amerikanischer Erfahrungen?

Die USA sind in den letzten Jahren der Staat gewesen, der am aggressivsten von der Sanktion Strafvollzug Gebrauch gemacht hat – noch vor Russland, Weisrussland und Südafrika. Die Frage ist nun, ob sich diese Inhaftierungspolitik auch nach Europa ausbreitet. Die französische Regierung will 3,65 Milliarden Euro in den Neubau von Gefängnissen stecken und damit dem amerikanischen Beispiel folgen. Die Zahl der Gefängnisinsassen nimmt seit fast 20 Jahren kontinuierlich zu. Gegenwärtig wird die Frage nach der Effizienz von Verbrechensbekämpfung, die auf Bildungsprogramme zur Reintegration während und nach dem Gerichtsverfahren verzichtet, kontroverser denn je zu vor diskutiert. Trotz der Tatsache, dass in einigen Gefängnissen bis zu 50 Prozent der Insassen Analphabeten sind, werden beispielsweise von den zuständigen Entscheidungsinstanzen keine unterstützenden Maßnahmen für die Betroffenen in Erwägung gezogen. Die Begeisterung, Menschen hinter Gitter zu bringen, steht in einem Zusammenhang mit dem absoluten Desinteresse an Gefangenen, während und nachdem sie ihre Strafe absitzen (also nach durchschnittlich 28 Monaten). Überflüssig ist es darauf hinzuweisen, dass die meisten Ex-Häftlinge die Zeit ihres Gefängnisaufenthalts als lebenslange Last mit sich tragen, vor allem wenn sie einen Wiedereinstieg in das Berufsleben versuchen oder den Job wechseln. Viele von ihnen kehren nicht selten in die Umgebung zurück, in der sie sich vor dem Gefängnisaufenthalt aufhielten und die ihre Straffälligkeit mitbewirkte. Die folge davon ist, dass sich viele von ihnen an bestimmten Orten konzentrieren: In 3% der Wohngebiete Clevelands leben 20% der Häftlinge des Staates. Einige Politiker beginnen, auf das Problem aufmerksam zu werden: Das Justice Department  hat 100 Millionen Dollar zusammengetragen, um entlassene Häftlinge zu unterstützen. Zudem ist es Nicht-Regierungsorganisationen in einigen Gefängnissen gestattet, Arbeitstrainingskurse durchzuführen. In welchem Verhältnis steht dies jedoch zu den 54 Billionen $ jährlich, die für das gesamte Gefängnissystem ausgegeben werden? Gefängnisse zu errichten ist eine Sache. Den Ursprung und die persönliche Geschichte der Insassen während der Strafverbüßung im Hinblick auf einen neuen Lebensanfang zu berücksichtigen, ist eine andere. Dies sollte von den französischen Entscheidungsinstanzen bedacht werden, wollen sie Stigmatisierungen vermeiden und eine (Re-)Integration in die Gesellschaft unterstützen.

Blaise Bonvin, TC Geneva