Nr. 104, Januar 2008
 
16) “Jugendgewalt nimmt zu”: “Die Welt” schreibt's – und alle schreiben ab
Stein des Anstoßes der jüngsten Mediendebatte zum Thema Jugendgewalt ist ein Artikel der Tageszeitung “Welt am Sonntag”. Mit dem Verweis auf eine “Studie”, die der Redak-tion “vorliegt”, wird dort der Anstieg der Jugendgewalt beklagt. Dass es sich bei der “Stud-ie” um einen von fünf Bundesländern erstellten Lagebericht für die diesjährige Innenmin¬isterkonferenz (IMK) handelt, der für jedermann zugänglich im Internet “vorliegt”, hindert andere Zeitungen nicht, von der “Welt” abzuschreiben, ohne einen Blick auf die Primär¬quelle zu werfen. Dort liest man zwar, dass die PKS einen Anstieg der Fallzahlen für Ju¬gendgewalt aufweist. Gleichzeitig verschweigt der IMK-Bericht aber nicht, dass die krimino¬logische Dunkelfeldforschung einen tatsächlichen Anstieg nicht bestätigen kann und dass auf dieser Grundlage eben keine gesicherten Erkenntnisse möglich sind. Die Presseberichte bleiben dennoch so einseitig wie der “Welt”-Artikel. Dass dies nicht ohne Folgen bleibt, zeigen nun die Reaktionen von Politikern und Kommentatoren, die mit dem Strafrecht auf das Phänomen Jugendgewalt reagieren wollen. Der IMK-Bericht verweist hingegen auf kriminologische Forschung, die die Ursachen der Jugendgewalt in der sozialen und schulischen Lage sieht und vor diesem Hintergrund Ansätze in ebendiesem Bereich vorschlägt. In der Schlussbemerkung der IMK-Arbeitsgruppe wird folgerichtig nicht nach dem Strafrecht gerufen, sondern gefordert, zunächst das Lagebild innerhalb der Bundesländer zu vervollständigen, bevor konkrete Reaktionen auf jugendliche Gewalttäter empfohlen werden können. Der 27-seitige Bericht der Arbeitsgruppe der Innenministerkon¬ferenz inklusive Anlagen ist zu finden unter: http://www.berlin.de/imperia/md/content/seninn/imk2007/beschluesse/imk_185_bericht_top16.pdf; der “Welt”-Artikel ist online verfügbar unter: http://www.welt.de/article1464386/Jugendgewalt_in_Grossstaedten_nimmt_zu.html