Polizei : Newsletter Nr. 114, Dezember 2008

 1)   Gewalt gegen Polizisten: Sind weibliche Beamte stärker betroffen?
 2)   Korruption messen und zurückdrängen
 3)   Chancen und Risiken von Lockerungen im Jugendstrafvollzug
 4)   Aktuelle polizeirelevante Informationen im Internet
 5)   Frauen als Täter häuslicher Gewalt: Kriminologisches Phänomen oder moralische Panik?
 6)   Aktuelle Berichte über Drogenkonsum und Drogenpolitik
 7)   Vorsprung halten dank Private-Public-Partnership
 8)   Zweifelhafter Erfolg des „community policing” in den USA
 9)   Ermittlungserfolge bei Tötungsdelikten
10)  Der staatliche Umgang mit Misshandlungsvorwürfen
11)  Britische Pläne für erweiterte Kriminalstatistik
12)  Gründe für sexuelle Übergriffe auf dem Uni-Campus und in Wohnheimen
13)  Deutsche Hochschule der Polizei berät bei polizeilicher Sicherheitsforschung
14)  Polizeiliches Fehlverhalten und öffentliche Meinung
15)  Buchbesprechungen
16)  Online-Dokumente
 
1) Gewalt gegen Polizisten: Sind weibliche Beamte stärker betroffen?
Weibliche Polizeivollzugsbeamte sehen sich oft der impliziten Frage ausgesetzt, inwiefern Sie durch den Umgang mit Gewalttätern bedroht sind. Im Rahmen einer Studie wurde nun untersucht, welche geschlechtsspezifischen Unterschiede bei Angriffen gegen Polizisten bestehen und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen. Weibliche Beamte sind dabei insbesondere bei familiären Konfliktsituationen einem erhöhten Gewaltrisiko ausgesetzt. Das größte Risiko geht in diesen Situationen von berauschten Angreifern aus. Diese Ergebnisse liefern zwar erste Hinweise auf geschlechtsspezifische Risiken für Gewalthandlungen gegen Polizisten. Jedoch sind weitere Forschungsarbeiten notwendig, um zu klären, warum gerade Familienkonflikte ein derartiges Risiko darstellen und welche Handlungsempfehlungen daraus abzuleiten sind. Quelle: Rabe-Hemp, C.E., Schuck, A.M. (2007), Violence Against Police Officers: Are Female Officers at Greater Risk?, in Police Quarterly, 10 (4), 411-428.
 
 
2) Korruption messen und zurückdrängen
Studien, durch die das Ausmaß der Korruption aufgedeckt werden soll, erfassen meist die entsprechende Einschätzung oder Wahrnehmung der Befragten. Schweizer Forscher schlagen in einem Arbeitspapier eine andere methodische Herangehensweise vor. Konkret soll nach den Korruptionserfahrungen gefragt wird. Sie argumentieren, dass durch die Frage nach der persönlichen Einschätzung das Ausmaß an Korruption zu hoch eingeschätzt wird. Ihr Ansatz soll dazu beitragen, genaueres Datenmaterial als Grundlage für die Korruptionsbekämpfung zu erhalten. Das Dokument ist im Volltext verfügbar unter: http://www.deza.admin.ch/ressources/resource_en_170422.pdf Korruption wird ab dem Herbst 2009 auch im österreichischen Laxenburg ein Thema sein. Dort wird nämlich die von Interpol geführte und in Zusammenarbeit mit der UN gegründete Anti-Korruptions-Akademie ihre Arbeit aufnehmen. An ihr sollen Beamte aus aller Welt Anti-Korruptions-Strategien erlernen. Innerhalb eines internationalen Netzwerkes sollen diese schließlich in der Lage sein, ihr erworbenes Wissen weiterzugeben und so zur Vorbeugung von Korruption beizutragen. Mehr Informationen unter: http://www.interpol.int/Public/Corruption/Academy/default.asp.
 
 
3) Chancen und Risiken von Lockerungen im Jugendstrafvollzug
Eine Längsschnittanalyse von Daten aus einer Jugendstrafvollzugsanstalt zeigt, dass die Zahl der Nichtrückkehrer von Vollzugslockerungen äußerst gering ist. Obwohl ein Gefangener bereits bei einer mehr als dreißigminütigen Verspätung als Nichtrückkehrer gilt, wurde nur in unter 1 % der Fälle gegen dieses strenge Kriterium verstoßen. Da auf einen Gefangenen meist mehrere Lockerungen entfallen, ist daneben von Interesse, wie viele Gefangene sich stets regelkonform verhielten. Mit 95 % liegt dieser Wert sehr hoch, was auf eine hohe Anpassungsleistung der Jugendlichen und Heranwachsenden schließen lässt .Die Zahlen reihen sich ein in die positiven Ergebnisse vorheriger Studien, nach denen sich Lockerungsmaßnahmen zudem positiv auf die Rückfallwahrscheinlichkeit auswirken. Quelle: Stelly, Wolfgang; Walter, Joachim (2008), Vollzugslockerungen im Jugendstrafvollzug – am Beispiel der JVA Adelsheim, in: MSchrKrim 2008, 269-280.
 
 
4) Aktuelle polizeirelevante Informationen im Internet
Um das Thema „Policing Scotland in a European Context“ ging es auf der diesjährigen Konferenz des schottischen Instituts für Polizeiforschung. Eine Vielzahl an PowerPoint-Präsentationen, Podcasts und Video-Vorlesungen sowie Arbeitspapieren der Veranstaltung findet sich unter http://www.sipr.ac.uk/events/Outputs_Conference2008.php. Darunter sind Vorträge u.a. von Nick Fyfe, Otto Adang, Thomas Feltes und Jürgen Storbeck (ehem. Europol-Präsident).

Der deutsche Verlag für Polizeiwissenschaft hat seine Website überarbeitet und bietet nun unter anderem eine Suchfunktion an, mit der innerhalb des Verlagsprogramms recherchiert werden kann. Daneben besteht die Möglichkeit, sich durch einen Newsletter über Neuerscheinungen informieren zu lassen: http://www.polizeiwissenschaft.de. Wer sich für Gerichtsbeschlüsse und Urteile mit polizeirechtlichen Bezug interessiert, wird in der neu eingerichteten Online-Datenbank des Republikanischen Anwaltsvereins fündig. Unter http://www.rav-polizeirecht.de können zahlreiche Informationen insbesondere zum Versammlungsrecht abgerufen werden.
 
 
5) Frauen als Täter häuslicher Gewalt: Kriminologisches Phänomen oder moralische Panik?
Im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt wird der Anteil weiblicher Täter kontrovers diskutiert. Eine US-Studie ging der Frage nach, warum und in welchem Ausmaß Frauen „zuschlagen“. Durch eine Befragung von Teilnehmerinnen in Anti-Gewalt-Programmen fanden die Forscher heraus, dass die Frauen meist keine Karriere als Gewalttäter durchlaufen haben. Auch stellten sich die Gewalthandlungen der Probandinnen meist als Vergeltung für selbst erlittene Partnergewalt dar. Auch wenn die Studie auf Täterbefragungen als Messinstrument zurückgreift, wird die These, dass Gewalt gegen Männer durch ihre Partnerinnen ein ernsthaftes kriminologisches Phänomen darstellt, zumindest in Frage gestellt. Quelle: Ward, Russell E., Muldoon, John P. (2007), Female Tactics and Strategies of Intimate Partner Violence. A Study of Incidents Reports, in: Sociological Spectrum, 27 (4), 337-36. http://www.informaworld.com/openurl?genre=article&issn=0273%2d2173&volume=27&issue=4&spage=337
 
 
6) Aktuelle Berichte über Drogenkonsum und Drogenpolitik
Das „UN Office on Drugs and Crime“ hat eine Dokumentation über die weltweite Entwicklung des Marktes für illegale Drogen herausgegeben. Nachdem in den letzten Jahren eine Stabilisierung des Anbaus, Handels und Konsums festgestellt werden konnte, ist nun insbesondere für den Anbau von Opiaten und Kokain ein Anstieg zu beobachten. Hinsichtlich des Konsums zeichnet sich ein uneinheitliches Bild ab: In Entwicklungsländern nimmt der Gebrauch illegaler Drogen zu, während er in einigen der Hauptabsatzländer zurückgeht. Zeitgleich hat sich die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht speziell der Cannabis-Droge gewidmet. In einem umfangreichen Dokument werden zunächst die rechtlichen und sozialen Entwicklungen in Bezug auf Cannabis dargestellt und durch Fallstudien veranschaulicht. In einem zweiten Teil werden gesundheitliche Auswirkungen des Cannabiskonsums sowie das unterschiedliche Konsumverhalten in Europa behandelt. Das UN-Dokument ist abrufbar unter http://www.unodc.org/unodc/en/data-and-analysis/WDR-2008.html. Das Dokument über Cannabis ist hier http://www.emcdda.europa.eu/publications/monographs/cannabis zu erreichen.
 
 
7) Vorsprung halten dank Private-Public-Partnership
Damit meint der Direktor des Internet Safety Enforcement Team von Microsoft den Vorsprung der Sicherheitsbehörden vor Kriminellen. Ein von Microsoft entwickeltes Tool namens COFEE, das kostenlos auch bereits an Deutsche Polizeibehörden verteilt worden sein soll, kann dabei helfen. Es handelt sich um ein USB-Stick-Tool, das eine schnelle Abspeicherung von digitalen Daten für die Beweissicherung gewährleisten soll. Laut Internetdienst heise-online wird so ermöglicht, den Rechner direkt vor Ort durchsuchen zu können. Somit erübrige sich die Beschlagnahme und der Transport ins die kriminaltechnische Labor. Laut Online-News der Seattle Times arbeiten bereits über 2.000 Beamte in 15 Ländern mit dem Stick. Quelle: http://www.heise.de/newsticker/Microsoft-stellt-Ermittlern-forensisches-Tool-zur-Verfuegung--/meldung/107206 (Danke an Axel Behnke)
 
 
8) Zweifelhafter Erfolg des „community policing” in den USA
Die Ergebnisse einer Studie über die Wirksamkeit von Fördermitteln für „community policing“-Projekte lassen Zweifel an dem Erfolg der finanzierten Maßnahmen aufkommen. Während eine frühere Untersuchung zu dem Ergebnis kam, dass Fördermittel für lokale Polizeiprojekte zu einem Rückgang von Eigentums- und Gewaltdelikten führen, liefert die neue und methodisch aufwendigere Auswertung gegenteilige Ergebnisse. Fördermittel haben demnach keinen oder nur einen geringen Einfluss auf das Ausmaß der Kriminalität vor Ort. Es zeige daher wenig Wirkung, mehr Polizisten einzustellen und – so die Autoren der Studie plakativ –einem Kriminalitätsproblem Geld hinterherzuwerfen. Quelle: Worrall, J.L., Kovandzic, T.V. (2007), COPS grants and crime revisited, in: Criminology 45 (1), 159-190. http://www.ingentaconnect.com/content/bsc/crim/2007/00000045/00000001/art00006
 
 
9) Ermittlungserfolge bei Tötungsdelikten
Die Aufklärungsrate bei Tötungsdelikten ist in den USA verhältnismäßig gering (66 %). Umso bedeutender ist es, die Umstände herauszufinden, die den Umgang der Polizei mit Tötungsdelikten beeinflussen. Wurde bislang oft angenommen, dass vor allem der persönliche Hintergrund des Opfers wie etwa dessen Geschlecht, Rasse oder Vorstrafenregister entscheidend für den investierten Arbeitseinsatz ist, zeigt eine aktuelle Auswertung von Aufklärungsraten in Chicago den Einfluss weiterer Faktoren auf. Danach ist neben psychologischen Einflussfaktoren auch entscheidend, in welchen Polizeibezirk die Tat geschah und ob dort genügend Sachmittel und Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Quelle: Jiao, Allan Y. (2007), Explaining Homicide Clearance: An Analysis of Chicago Homicide Data 1965-1995, in: Criminal Justice Studies 20 (1), 3-14. http://www.informaworld.com/openurl?genre=article&issn=1478%2d601X&volume=20&issue=1&spage=3
 
 
10) Der staatliche Umgang mit Misshandlungsvorwürfen
Der österreichische Menschenrechtsbeirat hat seinen Bericht zum staatlichen Umgang mit Misshandlungsvorwürfen veröffentlicht. Im Ergebnis wird die ausschließlich an strafrechtlichen Kriterien orientierte Untersuchung der Vorwürfe kritisiert. Denn auch in strafrechtlich nicht relevanten Fällen könne ein aus menschenrechtlicher Sicht zu beanstandendes Verhalten liegen. Der Beirat schlägt daher unter anderem eine ganzheitliche Betrachtungsweise vor, durch die Misshandlungsvorwürfe umfassend untersucht werden. Weitere Informationen sind unter http://www.menschenrechtsbeirat.at/cms/index.php?option=com_content&task=view&id=281&Itemid=196 verfügbar. Eine Rezension des auch in Buchform unter dem Titel „Die Polizei als Täter? Eine Analyse des Umgangs staatlicher Institutionen mit Misshandlungsvorwürfen“ erschienenen Berichts finden Sie unter http://www.polizei-newsletter.de/books_german.php
 
 
11) Britische Pläne für erweiterte Kriminalstatistik
Im britischen Innenministerium wird geplant, die Datenbasis der dortigen polizeilichen Kriminalstatistik zu erweitern. Konkret wird überlegt, in Zukunft auch geographische Angaben über den Tatort zu erfassen. Dabei wird diskutiert, welche Gesichtspunkte bei der Analyse und Präsentation lokaler Kriminalitätsdaten zu beachten sind. Quelle: Kershaw, Chris, Plans for a New Crime Statistics System in England and Wales, in: Crime Prevention and Community Safety (2008), S. 150-157.
 
 
12) Gründe für sexuelle Übergriffe auf dem Uni-Campus und in Wohnheimen
Campus-Universitäten und ihre Wohnheime weisen in den USA eine gleichbleibend hohe Zahl an sexuellen Übergriffen auf. Forscher machen dafür sowohl allgemeine als auch individuelle Faktoren verantwortlich. Einige dieser Faktoren sind geschlechtsneutraler Art, wie z.B. die Art und Weise des Zusammenlebens in Wohnheimen oder die vorherrschende Erwartungshaltung, dass Wohnheimpartys stets mit dem Konsum großer Mengen an Alkohol einhergehen. Andere Faktoren sind geschlechtsspezifischer Natur und äußern sich in klischeehaften Vorstellungen von geschlechterspezifisch angemessenen Verhaltensweisen, was zu einer kritiklosen Hinnahme unerwünschter sexuelle Handlungen führt Die Forscher präsentieren abschließend Voraussetzungen für Strategien gegen sexuelle Übergriffe. Quelle: Armstrong, E.A., Hamilton, L., Sweeney, B. (2006), Sexual Assault on Campus: A Multi-level, Integrative Approach to Party Rape, in: Social Problems 53 (4), 483-499.
 
 
13) Deutsche Hochschule der Polizei berät bei polizeilicher Sicherheitsforschung
Die neu gegründete Deutsche Hochschule der Polizei (DHPol) in Münster wird sich in Zukunft verstärkt im Bereich der Sicherheitsforschung engagieren. Zurzeit werden die administrativen und personellen Rahmenbedingungen geschaffen, um als polizeilicher Ansprechpartner für Forschungsprojekte beratend zur Verfügung zu stehen. Weitere Informationen sind beim Polizeitechnischen Institut der DHPol, Herrn Hans R. Damm (Tel.: 02501/806-250), erhältlich. Quelle: Nationale Kontaktstelle Sicherheitsforschung beim VDI, Infobrief Nr. 7, online verfügbar unter http://www.nks-sicherheit.de/files/7._Infobrief.pdf.
 
 
14) Polizeiliches Fehlverhalten und öffentliche Meinung
Gegenstand einer Studie unter New Yorker Bürgern ist die Frage, wann Sanktionen für polizeiliches Fehlverhalten als gerecht empfunden werden. Dabei sind sich die Befragten darüber einig, dass insbesondere unnötige Gewaltanwendung und das Ausmaß eines möglichen Schadens in die Entscheidung über eine Sanktionierung des Polizisten einfließen sollen. Uneinigkeit herrscht jedoch über die Frage, wie das Fehlverhalten im Einzelfall geahndet werden soll. Ausgehend von diesen Ergebnissen erscheint es daher sinnvoll, einen Katalog von Kriterien zu entwickeln, anhand derer gerechte Sanktionen für polizeiliches Fehlverhalten getroffen werden. Auf diese Weise kann erreicht werden, dass konkrete Sanktionen für polizeiliches Fehlverhalten auch innerhalb der Bevölkerung nachvollzogen werden können. Quelle: Seron, C., Pereira, J., Kovath, J. (2006), How Citizens Assess Just Punishment for Police Misconduct, in: Criminology, 44 (4), 925-960.
 
 
15) Buchbesprechungen
Unter http://www.polizei-newsletter.de/books_german.php erreichen Sie alle bislang für den Polizei-Newsletter verfassten Rezensionen. Andrea Wiesener hat das Buch „Vertragen oder Schlagen? Biographien jugendlicher Gewalttäter als Schlüssel für eine Erziehung zur Toleranz in Familie, Kindergarten und Schule" von Klaus Wahl, Cornelson Verlag 2007, besprochen. Jan Boost hat eine Rezension zu Tillmann Schotts Buch „ Einschleusen von Ausländern“ verfasst.
 
 
16) Online-Dokumente
Unter http://www.polizei-newsletter.de/online_documents_german.php ist ein von Frank D. Stolt verfasster Bericht über das Internationale Seminar „Stand der Polizeiethik in internationaler Perspektive“ an der Deutschen Hochschule der Polizei abrufbar.