Polizei : Newsletter Nr. 276, Juli 2023

 1)   Gewalt gegen ältere Menschen
 2)   Entschädigung nach rechtswidriger körperlicher Durchsuchung
 3)   Niedrige Anzeigeraten bei Opfern von sexueller Belästigung. Was wollen die Betroffenen tatsächlich?
 4)   Offizieller Untersuchungsbericht zum Tod von George Floyd
 5)   Strafbarkeit des Filmens von Polizeieinsätzen
 6)   Traumatische Erlebnisse in der Kindheit. Auswirkungen auf die Polizeiarbeit.
 7)   Psychisch kranke Jugendliche und ihre Einschätzung der Polizei
 8)   Masterstudiengang „Kriminologie und Kriminalprävention“ in Berlin
 9)   Die ersten 45 Worte sind entscheidend bei Fahrzeugkontrollen.
10)  Hanau und die Folgen
11)  Statistiken zur Kriminalität in den USA
12)  Forschungen zu häuslicher und familiärer Gewalt
13)  Zusammenhang zwischen Einkommen und Schulbildung
14)  Polizeireform in den USA
15)  Experten uneinig über Waffenpolitik in den USA
16)  Kosten polizeilichen Fehlverhaltens
17)  Bodycams in New York reduzieren rechtswidrige Polizeimaßnahmen
18)  Vernehmung von Sexualstraftätern
 
1) Gewalt gegen ältere Menschen
Die Misshandlung älterer Menschen stellt weltweit eine erhebliche Bedrohung für die Gesundheit und das Wohlbefinden älterer Menschen dar. Jedes Jahr werden bspw. in den USA 10 % der Erwachsenen über 60 in irgendeiner Form misshandelt. Studien haben außerdem gezeigt, dass etwa zwei Drittel der Opfer von Misshandlungen älterer Menschen Frauen sind. Die Misshandlung älterer Menschen physischen, psychologischen und sexuellen Missbrauch, finanzielle Ausbeutung, Vernachlässigung und Verlassenheit umfassen. Der Schaden betrug 2022 3,1 Milliarden US-$, und stieg gegenüber 2021 um 84% an. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1014 . Eine Studie aus Deutschland unter dem Titel „Alte Menschen als Opfer von Gewalt und Vernachlässigung im stationären Pflegesetting - Eine Hellfeldstudie hinsichtlich Häufigkeit, Phänomenologie, Strafverfolgungspraxis und Ursachen am Beispiel nordrhein-westfälischer Alten- und Pflegeheime“ wurde 2017 veröffentlicht und steht zum download hier zur Verfügung: https://krimdok.uni-tuebingen.de/Record/1793892512 .
 
 
2) Entschädigung nach rechtswidriger körperlicher Durchsuchung
Das Bundesverfassungsgericht hat der Verfassungsbeschwerde stattgegeben, die sich gegen ein Urteil des Landgerichts Regensburg richtete, mit dem eine Geldentschädigung nach einer mit vollständiger Entkleidung verbundenen körperlichen Durchsuchung versagt wurde. Das Landgericht hatte die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung festgestellt. Indem es einen Entschädigungsanspruch unter Verweis auf ein fehlendes Verschulden der handelnden Amtsträger verneint hatte, verkenne das Landgericht den Einfluss der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf die Anwendung des einfachen Rechts – so das BVerfGE. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1015
 
 
3) Niedrige Anzeigeraten bei Opfern von sexueller Belästigung. Was wollen die Betroffenen tatsächlich?
In zwei quasi-experimentellen Studien wurden die Bedürfnisse und Handlungen, die von Personen beschrieben wurden, die sexuelle Belästigung erlebt haben, mit denen verglichen, die von anderen, die keine sexuelle Belästigung erlebt haben, erwartet wurden. Die Ergebnisse zeigten eine anhaltende Kluft zwischen den Perspektiven. Personen, die sexuelle Belästigung erlebt haben, gaben eine Reihe von Bedürfnissen an und unternahmen eine Vielzahl von Maßnahmen, um diese Bedürfnisse zu erfüllen. Sicherheit und soziale Unterstützung hatten Vorrang vor formellen Maßnahmen. Diejenigen, die noch keine sexuelle Belästigung erlebt hatten, gingen davon aus, dass sie mehr Maßnahmen ergreifen würden - insbesondere formelle Maßnahmen. https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/03616843231170761
 
 
4) Offizieller Untersuchungsbericht zum Tod von George Floyd
Ein von der Stadt Minneapolis, dem Polizeidepartment, dem Justizministerium und der Bundesanwaltschaft erstellter 89-seitiger Bericht zum Tode von George Floyd listet die Fehler und Mängel im MPD auf. Demnach wendet die Polizei unangemessene tödliche Gewalt an, setzt Taser in einer unangemessenen und unsicheren Weise ein, setzt unangemessene Takedowns, Schläge und andere körperliche Gewalt ein, auch gegen willfährige oder gefesselte Personen. Begegnungen mit Jugendlichen führen zu unnötiger, unangemessener und schädlicher Gewaltanwendung. Die Polizei unterlässt es, Personen in Gewahrsam medizinisch zu versorgen und missachtet ihre Sicherheit, greift bei unangemessener Gewaltanwendung nicht ein und ein unzureichendes Gewaltüberprüfungssystem trägt zur Anwendung von übermäßiger Gewalt bei. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1016
 
 
5) Strafbarkeit des Filmens von Polizeieinsätzen
Ob es strafbar ist, einen Polizeieinsatz mit dem Smartphone in Bild und Ton aufzunehmen, ist nach wie vor umstritten. Hierzu gibt es mittlerweile rund ein Dutzend Gerichtsentscheidungen von Amts-, Land- und Oberlandesgerichten. Das LG Hanau hat jetzt entschieden, dass dann, wenn die Body-Cam läuft, das Filmen mit Handy nicht strafbar ist. Den meisten Richtern reicht für eine faktische Öffentlichkeit bereits, wenn die Polizeibeamten anhand der Umstände von Zeit und Ort damit rechnen mussten, dass unbeteiligte Dritte mithören könnten. Bleibt zu hoffen, dass der BGH bald ein Machtwort spricht. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1017
 
 
6) Traumatische Erlebnisse in der Kindheit. Auswirkungen auf die Polizeiarbeit.
Es wird zunehmend anerkannt, dass ungünstige Kindheitserfahrungen ein bedeutendes Problem für die öffentliche Gesundheit darstellen. Von solchen potenziell traumatischen Ereignissen, einschließlich Missbrauch und Vernachlässigung in der Kindheit, Verlust eines Elternteils und Dysfunktion im Haushalt, wie psychische Erkrankungen der Eltern oder Drogenmissbrauch oder häusliche Gewalt sind etwa 50 % der Bevölkerung in Schottland betroffen. Die Forschung zeigt, dass dadurch das Risiko für negative Folgen in Bezug auf Gesundheit, Wohlbefinden und Kriminalität über die gesamte Lebensspanne hinweg erhöht wird. Bei bis zu 80 % der bei der Polizei in Schottland eingehenden Anrufe liegt ein solcher Hintergrund vor; deshalb hat eine „traumainformierte Polizeiarbeit“ Priorität erhalten. Über die erste Evaluierung berichtet eine Studie. https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/1068316X.2023.2210736
 
 
7) Psychisch kranke Jugendliche und ihre Einschätzung der Polizei
Auf der Grundlage einer Stichprobe von 3147 Teilnehmern im Alter zwischen 14 und 25 Jahren, von denen ein Drittel angab, an einer psychischen Erkrankung zu leiden, zeigt eine Studie, dass junge Menschen mit einer psychischen Erkrankung eine deutlich schlechtere Wahrnehmung der Polizei in Bezug auf die Verfahrensgerechtigkeit haben. Junge Menschen, die sich als nicht heterosexuell, trans* oder geschlechtsspezifisch identifizieren, und diejenigen, die angeben, dass sie nicht als Australier angesehen werden, haben ebenfalls eine signifikant geringere Wahrnehmung der polizeilichen Verfahrensgerechtigkeit. Es werden Maßnahmen erörtert, wie die Polizei eine vertrauensvollere und unterstützende Beziehung zu jungen Menschen im Allgemeinen aufbauen kann. https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/10439463.2023.2207714
 
 
8) Masterstudiengang „Kriminologie und Kriminalprävention“ in Berlin
Die Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin bietet ab Herbst 2023 einen Masterstudiengang „Kriminologie und Kriminalprävention“ an. Der viersemestrige Master wird berufsbegleitend angeboten. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1018
 
 
9) Die ersten 45 Worte sind entscheidend bei Fahrzeugkontrollen.
Die ersten 45 Worte eines Polizeibeamten bei einer Fahrzeugkontrolle deuten oft darauf hin, wie die Kontrolle enden wird. Eine Studie hat herausgefunden, dass es einen entscheidenden Unterschied zwischen der Art und Weise gibt, wie Beamte mit Fahrern in den ersten Momenten von Kontrollen sprechen. Bei eskalierten Kontrollen beginnt der Beamte mit einem Befehl und nicht mit einem Grund. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1019
 
 
10) Hanau und die Folgen
Eine visualisierte Recherche der Frankfurter Rundschau beschäftigt sich mit dem Anschlag in Hanau, der vor drei Jahren stattfand und seiner Aufarbeitung. https://frstory.de/hanau/
 
 
11) Statistiken zur Kriminalität in den USA
In den USA gibt es zwei wesentliche Statistiken zur Kriminalität: den National Crime Victimization Survey (NCVS), das Uniform Crime Reporting Program Summary Reporting System (UCR SRS) des FBI. Beide messen Ausmaß, Art und Auswirkungen der Kriminalität. Das NCVS und das UCR SRS haben unterschiedliche Zwecke, verwenden unterschiedliche Methoden und konzentrieren sich auf unterschiedliche Aspekte der Kriminalität. Ein Bericht vergleicht die entsprechenden Daten. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1020
 
 
12) Forschungen zu häuslicher und familiärer Gewalt
Dabei wurden Zusammenhänge zwischen früher Viktimisierung und zukünftigen Straftaten in der  Entwicklung von mehr als 8.000 Straftätern im Alter von 13–17 Jahren bis zum Alter von 23 Jahren untersucht. Nur sieben Prozent wurden vor dem 18. Lebensjahr wegen eines entsprechenden Vergehens verfolgt. Jugendliche Straftäter, die Opfer von häuslicher und familiärer Gewalt geworden waren, werden mit viel größerer Wahrscheinlichkeit häufiger rückfällig. https://www.aic.gov.au/publications/tandi/tandi641
 
 
13) Zusammenhang zwischen Einkommen und Schulbildung
Kinder, die in wohlhabenden Haushalten leben, erreichen höhere Schulabschlüsse und schreiben sich mit 40 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit für eine tertiäre Bildung ein als Kinder am unteren Ende der Vermögensverteilung. Zudem scheint elterliches Vermögen besonders effektiv zu sein, negative Folgen wie einen Schulabbruch ohne Abschluss oder das Nichtfinden einer vollqualifizierenden Berufsausbildung zu verhindern. https://academic.oup.com/esr/article/38/1/18/6335766
 
 
14) Polizeireform in den USA
Das nach dem Tod von George Floyd geplante „Justice in Policing Act“ wurde nicht umgesetzt. Einige Bundesstaaten und Städte verabschiedeten begrenzte Polizeireformen, aber die meisten Reformgesetze scheiterten. Nach wie vor verhindern gesetzliche Vorgaben, dass Polizeibeamte, die Gesetze verletzen, entsprechend zu Rechenschaft gezogen werden. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1021
 
 
15) Experten uneinig über Waffenpolitik in den USA
Laut einem neuen Bericht der RAND Corporation bestehen nach wie vor große Meinungsverschiedenheiten unter US-Experten, die sich mit Fragen der Waffenpolitik befassen. Strittig ist, inwieweit einzelne Richtlinien Waffengewalt und andere durch Schusswaffen verursachte Schäden reduzieren können. Bei einer Befragung von 173 Forschern, Befürwortern und Analysten stellten die Forscher fest, dass es im Allgemeinen zwei ideologische Lager gibt – eine restriktive Gruppe (die restriktivere regulatorische Ansätze für den Waffenbesitz und deren Verwendung befürwortet) und eine permissive Gruppe (die permissivere regulatorische Ansätze für den Besitz und die Verwendung von Waffen befürwortet). https://www.rand.org/research/gun-policy.html
 
 
16) Kosten polizeilichen Fehlverhaltens
Amerikanische Polizeibehörden müssen jedes Jahr Millionen Dollar an Entschädigung für Fehlverhalten ihrer Beamten zahlen. Die Auswertung von Daten aus 31 Städten zeigt, dass diese Städte in den letzten 10 Jahren mehr als 3 Milliarden US-Dollar für die Beilegung von Klagen wegen polizeilichen Fehlverhaltens ausgegeben haben. New York alleine zahlt jedes Jahr im Schnitt 170 Mio. US Dollar an Entschädigung. Ein Bericht des Marshall-Projektes zeigt, dass daraus kaum Konsequenzen für die Verhinderung von Fehlverhalten und für die Umsetzung von „accountability“ gezogen werden. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1022
 
 
17) Bodycams in New York reduzieren rechtswidrige Polizeimaßnahmen
Im Vergleich zu Kontrollbeamten ohne Bodycam gingen die Beschwerden von Bürgern gegen Beamte mit Bodycam um 21 Prozent zurück. Die Beamten mit Kamera reichten jedoch im Vergleich zu den Kontrollbeamten auch fast 39 Prozent mehr Kontrollmeldungen ein. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Bodycams die Einhaltung der Vorschriften zur Dokumentation aller Stopps durch die NYPD-Beamten verbesserten und zur Bekämpfung der rechtswidrigen Polizeimaßnahmen eingesetzt werden können. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1023
 
 
18) Vernehmung von Sexualstraftätern
2016 erfolgte eine bedeutsame Reform des deutschen Sexualstrafrechts. Eine Studie widmet sich aktuellen empirischen Erkenntnissen zu den Straftatbeständen. Für die Aufklärung und Beweisbarkeit der fraglichen Taten hat die Opferaussage zentrale Bedeutung. Es werden Schlussfolgerungen für eine geeignete Vernehmungstechnik und -protokollierung dargestellt, um das infolge der Reform nunmehr zentrale Tatbestandsmerkmal– den erkennbar den sexuellen Handlungen entgegenstehenden Willen – adäquat aufklären zu können. Eine derartige Vernehmungsgestaltung verbessert zudem die Möglichkeiten, mittels wissenschaftlich etablierter Methoden der Glaubhaftigkeitsbeurteilung sowohl tatsächlich stattgefundene Taten als auch mögliche Falschbeschuldigungen als solche zu identifizieren. https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/mks-2020-2058/html