Polizei : Newsletter Nr. 290, November 2024

 1)   Diskriminierungsrisiken in der Polizeiarbeit
 2)   Entwicklung der Jugendkriminalität in den Niederlanden: Hohes Dunkelfeld, Rückgang der selbst berichteten Straftaten, Konzentration auf wenige Nachbarschaften
 3)   Ambulante Behandlungsweisungen in der psychiatrischen Versorgung. Aktuelle Studien zur Evidenz
 4)   Sexualstraftäterregisters in Michigan verfassungswidrig
 5)   Hilft KI dabei, Polizeiberichte schneller zu schreiben?
 6)   Untersuchungshaft erhöht nicht nur die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung, sondern auch die Rückfallwahrscheinlichkeit
 7)   Architekten und Stadtplaner in der Kriminalprävention
 8)   Meta-Studie zu Resozialisierungsprogrammen für psychisch auffällige Straftäter
 9)   New Yorker Polizei wird wegen Untätigkeit bei PTBS-Folgen verklagt
10)  FBI-Daten bestätigen rückläufige Kriminalität
11)  Einfluss von Belastungssituationen auf die psychische Gesundheit von Beamten
12)  Reiserouten illegaler Migranten in den Niederlanden
13)  Welche Faktoren beeinflussen die psychische Gesundheit von Polizeibeamten?
14)  Messenger „Telegram“: Kanal für Kriminelle und Kriminalität
15)  Kameraüberwachung in Chicago kaum wirksam
16)  Wie entstehen Polizeidaten? Eine ethnografische Studie
17)  Bundeslagebild Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamte 2023 veröffentlicht
 
1) Diskriminierungsrisiken in der Polizeiarbeit
In der ethnografischen Studie aus Niedersachsen werden die Arbeitsprozesse des Einsatz- und Streifendienstes, der Kriminalpolizei und der Bereitschaftspolizei soziologisch beschrieben und dabei diskriminierungsanfällige Alltagspraktiken identifiziert. In Abgrenzung zu anderen Projekten liegt das Forschungsinteresse hier auf polizeilich funktionalen Routinen, Praxismustern und Verfahren, denen Risiken für Diskriminierung innewohnen (institutionelle Diskriminierung). http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1142
 
 
2) Entwicklung der Jugendkriminalität in den Niederlanden: Hohes Dunkelfeld, Rückgang der selbst berichteten Straftaten, Konzentration auf wenige Nachbarschaften
Eine neuere Dunkelfeldstudie zeichnet die Entwicklung der Jugendkriminalität in den Niederlanden seit dem Jahr 2000 nach. Demnach hat sich die Zahl (auf 1.000 der Altersgruppe) etwa halbiert, wobei die Straftäter nicht jünger werden, wie immer wieder behauptet wird. Nur eine von 10 der von Jugendlichen angegebenen Straftaten wird von der Polizei registriert. Die meisten der Straftaten werden über Jahre hinweg in denselben Stadtvierteln registriert und die meisten Verdächtigen wohnen in denselben Stadtvierteln. Dies betrifft vor allem Stadtteile mit relativ vielen jungen Männern, Stadtteile mit niedriger sozioökonomischer Situation und einer heterogenen Bevölkerungszusammensetzung. Englische Zusammenfassung im Dokument ab S. 62. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1143
 
 
3) Ambulante Behandlungsweisungen in der psychiatrischen Versorgung. Aktuelle Studien zur Evidenz
Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat zu diesem Thema eine Dokumentation erstellt, die u.a. wissenschaftliche Studien zum Erfolg solcher Behandlungsmaßnahmen auswertet. Zusätzlich wird im ersten Teil intensiv auf das Thema Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie und Stellungnahmen der WHO und des UN-Menschenrechtsrates eingegangen. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1144
 
 
4) Sexualstraftäterregisters in Michigan verfassungswidrig
Etwa 17.000 Personen, die 25 Jahre lang im Register geführt werden sollten, wurden mit einer lebenslangen Sanktion belegt, nachdem der Gesetzgeber das Gesetz 2011 geändert hatte. Der Staat hatte das Gesetzt geändert, nachdem die registrierten Personen ihre Straftaten begangen haben. Das wurde jetzt für verfassungswidrig erklärt. Die American Civil Liberties Union hatte gegen die Bestimmungen des Sexualstraftäterregisters geklagt. Das Register sei „von Angst und nicht von Fakten getrieben“ und mit „astronomischen Kosten“ verbunden gewesen. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1145
 
 
5) Hilft KI dabei, Polizeiberichte schneller zu schreiben?
Eine Studie untersucht das Potenzial von künstlicher Intelligenz (KI), die Zeit zu reduzieren, die Polizeibeamte für das Schreiben von Berichten aufwenden. Ergebnisse: Die Unterstützung durch künstliche Intelligenz hatte keinen signifikanten Einfluss auf die Dauer der Erstellung von Polizeiberichten. Die Ergebnisse widersprechen den Erwartungen in Bezug auf die Wirkung dieser Technologie und deuten darauf hin, dass durch den Einsatz von KI-gestützter Berichterstellung keine Zeitersparnis bei der Berichterstellung zu erwarten ist. https://www.crimrxiv.com/pub/nxbmzp2j/release/1
 
 
6) Untersuchungshaft erhöht nicht nur die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung, sondern auch die Rückfallwahrscheinlichkeit
Zu diesem Ergebnis kommt eine methodisch aufwändige Studie in den USA. In der Veröffentlichung finden sich auch Hinweise auf andere empirische Studien zu dem Thema. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1146
 
 
7) Architekten und Stadtplaner in der Kriminalprävention
Mit der Rolle dieser Personen bei der situativen Kriminalprävention beschäftigt sich eine Studie aus Schweden. Sie geht auch der Frage nach, warum die Kriminologie dazu neigt, den Einfluss von Stadtplanern auf das städtische Umfeld zu unterschätzen - ein Faktor, der für eine wirksame Kriminalprävention von entscheidender Bedeutung ist. Um die fehlende Verbindung zwischen Stadtplanung und Kriminalprävention zu verdeutlichen, werden die Ergebnisse einer Umfrage vorgestellt, die unter Stadtplanern und Sicherheitsexperten in 290 schwedischen Gemeinden durchgeführt wurde. Der Artikel schließt mit Empfehlungen für die künftige Forschung und Praxis. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1147
 
 
8) Meta-Studie zu Resozialisierungsprogrammen für psychisch auffällige Straftäter
Insgesamt wurden 28 verschiedene wirksame Supervisions- oder Behandlungsprogramme ausgewertet. Fünfzehn Programme beziehen sich auf Langzeitsupervision. Dreizehn kurzfristige, d. h. weniger als zwei Jahre dauernde, haben sich als wirksam erwiesen. Englische Zusammenfassung ab S. 166 des Berichts. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1148
 
 
9) New Yorker Polizei wird wegen Untätigkeit bei PTBS-Folgen verklagt
Bevor ein New Yorker Polizeibeamter einem Autofahrer in den Kopf schoss, litt er laut einer Klage seit Jahren an einer posttraumatischen Belastungsstörung und Alkoholmissbrauch. Obwohl ihm sein Vorgesetzter geraten hatte, sich in Behandlung zu begeben, tat er dies nicht, und die NYPD ergriff keine weiteren Maßnahmen. Der 27-Jährige wurde wegen versuchten Mordes angeklagt. Die Familie hat zudem eine Klage eingereicht, in der sie die NYPD beschuldigt, eine vermeidbare Tragödie ermöglicht zu haben, weil sie es versäumt hatte, sich mit den Problemen des Beamten zu befassen. https://www.washingtonpost.com/nation/2024/10/07/nypd-shooting-ptsd-hieu-tran/
 
 
10) FBI-Daten bestätigen rückläufige Kriminalität
Der jüngste Bericht des FBI über die Kriminalität im Jahr 2023 bestätigt, dass die Kriminalität in den USA auf breiter Front rückläufig ist. Die offiziellen Daten decken sich mit den Erkenntnissen vieler unabhängiger Experten. Vor allem die Gewaltkriminalität ist im vergangenen Jahr weiter zurückgegangen, mit einem rekordverdächtigen Rückgang der Morde. Eine Analyse befasst sich mit den wichtigsten Ergebnissen des FBI-Berichts und geht auf unbegründete Versuche ein, Zweifel an den Daten zu säen. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1149
 
 
11) Einfluss von Belastungssituationen auf die psychische Gesundheit von Beamten
Anhand einer Längsschnittstichprobe von Justizvollzugsbeamten aus drei Gefängnissen in Minnesota werden die Auswirkungen der Häufung von arbeitsbedingten Belastungen durch kritische Zwischenfälle auf Symptome im Zusammenhang mit posttraumatischer Belastungsstörung, Depression und Angst untersucht. Die psychischen Symptome sind mit zunehmender Belastung durch kritische Zwischenfälle stärker ausgeprägt. Die Analysen zeigen auch, dass psychische Gesundheitssymptome erst dann auf ein problematisches Niveau ansteigen, wenn die Häufung kritischer Zwischenfälle einen Wendepunkt erreicht oder überschreitet. Die Ergebnisse unterstreichen, dass dies auch Auswirkungen auf den Umgang der Beamten auf inhaftierte Personen sowie auf Gefängnissysteme im weiteren Sinne hat. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1150
 
 
12) Reiserouten illegaler Migranten in den Niederlanden
Wenn man die Reiserouten kennt, kann das Leid von Migranten verhindern werden. Dies kann zum Beispiel gezielte Kommunikationskampagnen, die Bekämpfung von Menschenhändlern oder Ausbeutern und eine bessere Unterstützung und Versorgung bedeuten. Zweitens kann ein besserer Einblick in die Reiserouten Aufschluss darüber geben, wie sich die irreguläre Migration steuern lässt. Eine Studie in den Niederlanden hat sich dieses Themas intensiv angenommen. Englische Zusammenfassung ab S. 7. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1151
 
 
13) Welche Faktoren beeinflussen die psychische Gesundheit von Polizeibeamten?
Frühe Studien zur psychischen Gesundheit in der Polizeiarbeit konzentrierten sich häufig auf Traumata und kritische Zwischenfälle. Neuere Forschungen liefern ein überzeugendes Argument dafür, dass andere operative und organisatorische Faktoren wesentliche Ursachen für psychische Schäden sind. In der aktuellen Studie wurden die Beziehungen zwischen Stressoren (Trauma und Informanten, betriebliche und organisatorische Faktoren) und psychischer Gesundheit (psychische Belastung und Burnout) untersucht. Die Beziehung zu organisatorischem Stress im Vergleich zu Traumastress war dreimal so stark und die Beziehung zu operativem Stress zweieinhalbmal so stark. Es wurde kein direkter Zusammenhang zwischen Traumastress und Burnout festgestellt. Vielmehr wurde er vollständig durch organisatorischen und operativen Stress erklärt. Die Ergebnisse legen nahe, dass Führungskräfte der Polizei die direkten und kombinierten Auswirkungen verschiedener Stressoren auf die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter berücksichtigen müssen. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1152
 
 
14) Messenger „Telegram“: Kanal für Kriminelle und Kriminalität
„Telegram“ hat sich zu einem globalen Kanal für kriminelle Aktivitäten, Desinformation, Material über sexuellen Kindesmissbrauch, Terrorismus und rassistische Aufstachelung entwickelt. Dies ergab eine viermonatige Untersuchung der New York Times, die mehr als 3,2 Millionen Telegram-Nachrichten aus über 16.000 Kanälen analysierte. Das Unternehmen, das Funktionen anbietet, die es Kriminellen, Terroristen und Trickbetrügern ermöglichen, sich in großem Maßstab zu organisieren und die Kontrolle der Behörden zu umgehen, hat weggesehen, als illegale und extremistische Aktivitäten auf der App offen florierten. Bei der Untersuchung wurden 1.500 Kanäle gefunden, die von weißen Rassisten betrieben werden und die Aktivitäten von fast einer Million Menschen auf der ganzen Welt koordinieren. Mindestens zwei Dutzend Kanäle verkauften Waffen. In mindestens 22 Kanälen mit mehr als 70.000 Anhängern wurden MDMA, Kokain, Heroin und andere Drogen zur Lieferung in mehr als 20 Länder angepriesen. Auch die Hamas, ISIS und andere Terrorgruppen haben sich demnach auf „Telegram“ gut entwickelt. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1153
 
 
15) Kameraüberwachung in Chicago kaum wirksam
Mit mehr als 50.000 Kameras wird in Chicago eines der weltweit größten Videoüberwachungssysteme betrieben. Jetzt zeigt eine Untersuchung, dass die Polizei selbst davon ausgeht, dass die Kameras nur selten zur Lösung von Fällen beitragen, selbst bei den schwersten Verbrechen. Die Videos trugen im besten Fall zur Aufklärung von 3,5 % der Tötungsdelikte im Jahr 2023 bei. Die Hälfte der offenen Tötungsdelikte, fast drei Viertel der offenen Schießereien und mehr als 90 % der offenen Raubüberfälle im vergangenen Jahr wurden laut Polizeidaten nicht auf Video übertragen. Die Kameras könnten dann ein wichtiges Instrument zur Verbrechensbekämpfung sein, wenn die Beamten sie in Echtzeit beobachten. Angesichts der großen Anzahl von Kameras ist dies aber nicht möglich. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1154
 
 
16) Wie entstehen Polizeidaten? Eine ethnografische Studie
Trotz ihrer Bedeutung wurde bisher nur in begrenztem Umfang empirisch untersucht, wie Polizeidaten erzeugt werden und wie sich ihr situierter Kontext auf die algorithmische Interpretation von Daten auswirkt. Am Beispiel der niederländischen Polizei wird dies untersucht: Wie interagieren materielle Faktoren und menschliche Akteure bei der „Datenarbeit“, um die Datafizierung von situierten Kontexten auf Straßenebene bei der niederländischen Polizei zu ermöglichen? Die Studie stützt sich auf fast 200 Stunden ethnografische Feldforschung mit Mitarbeitern der niederländischen Polizei auf der Straße. Sie zeigt, dass die Datenarbeit tief in den polizeilichen Alltag eingebettet ist und von persönlichen Werten, dem organisatorischen Kontext und praktischen Überlegungen geprägt wird. https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/20539517241270695
 
 
17) Bundeslagebild Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamte 2023 veröffentlicht
Das aktuelle Lagebild ist veröffentlicht worden. Wichtig sind neben den Zahlen auch die Hinweise vorab, wie z.B. dieser: „Tätlicher Angriff im Sinne des § 114 StGB ist jede in feindseliger Absicht unmittelbar auf den Körper des Anderen zielende Einwirkung ohne Rücksicht auf ihren Erfolg (z. B. Flaschenwurf, der die Polizistin verfehlt oder die Abgabe von Schreckschüssen). Zu einer körperlichen Verletzung muss es nicht kommen. Die Tathandlung muss nicht auf die Verhinderung oder Erschwerung der Diensthandlung abzielen. Ausreichend ist, wenn aus allgemeiner Feindseligkeit gegen den Staat oder aus persönlichen Motiven gegen die Amtsträgerin oder den Amtsträger oder aus anderen Beweggründen gehandelt wird.“ Auch wird auf die fehlende kriminologische Definition der „Gewalt gegen PVB“ hingewiesen und auf die Tatsache, dass im PKS-Straftatenkatalog 2018 Änderungen erfolgten, die Vergleichbarkeit mit den Vorjahren „einschränkt“. http://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1155